Gewalt im Hundetraining – rechtliche und wissenschaftliche Definitionen

Gewalt ist klar definiert

Gewalt beginnt nicht erst bei sichtbaren Verletzungen. Nach der Definition der World Health Organization (2002) bedeutet Gewalt den bewussten Einsatz physischer Kraft oder Macht – angedroht oder ausgeübt – gegen ein anderes Lebewesen, wodurch mit hoher Wahrscheinlichkeit körperliche oder psychische Schäden entstehen. Dazu zählen auch Einschüchterung, Drohung und der Entzug von Kontrolle.

Das deutsche Tierschutzgesetz (§ 17 TierSchG) verbietet es ausdrücklich, einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen. Leiden wird juristisch definiert als jede Beeinträchtigung des Wohlbefindens – etwa durch Angst, Schmerzen oder Ausgeliefertsein (Köck/Hoffer/Zeder, 2020).

Österreich geht noch weiter: Hier ist es sogar ausdrücklich untersagt, einem Tier „schwere Angst zuzufügen“ (§ 5 Abs. 1 TierSchG Österreich). Abrichten mit Angst, Schmerzen oder Leiden ist generell unzulässig (§ 13 Abs. 2 Z 3 TierSchG Österreich).

Gewalt ist mehr als Schläge

Die Forschung zeigt: Gewalt wirkt auch dort, wo Hunde keine Wahl haben, ständig unter Druck stehen oder aus Angst handeln (Gaultier et al., 2008; McMillan, 2005; Beerda et al., 1998). Gewalt kann also subtil sein und beginnt oft im Alltäglichen.

Der Friedensforscher Johan Galtung (1969) prägte den Begriff „systemische Gewalt“: Sie liegt vor, wenn einem Lebewesen dauerhaft die Möglichkeit genommen wird, Grundbedürfnisse zu erfüllen – auch ohne sichtbare Täter:innen. Übertragen auf Hunde betrifft das alltägliche Machtverhältnisse, nicht nur einzelne Handlungen.

Beispiele für physische Gewalt

Nach rechtlichen und wissenschaftlichen Legaldefinitionen umfasst physische Gewalt im Hundetraining unter anderem:

  • Bedrängen, Wegschieben, Stoßen (z. B. mit dem Knie)

  • Blockieren von Bewegungsrichtungen

  • Treten, Schlagen, Werfen

  • Festhalten, Runterdrücken

  • Einsatz von „Erziehungsgeschirren“, Zug- oder Vibrationshalsbändern

  • Leinenruck, Hochziehen (an der Leine), in die Seite piksen

  • Alphawurf und ähnliche „Techniken“

Alle diese Praktiken lösen nachweislich Stress, Angst und erhöhte Aggressionsbereitschaft aus (Schilder & van der Borg, 2004; Hiby, Rooney & Bradshaw, 2004; Ziv, 2017).

Beispiele für psychische Gewalt

Psychische Gewalt ist subtiler, aber ebenso gravierend:

  • permanenter Erwartungsdruck

  • wiederholte Frustration ohne Lösungsweg

  • Training über Stressgrenzen hinaus („da muss er durch“)

  • gezieltes Ignorieren

  • Drohgebärden: Aufrichten, Fixieren mit Blicken, bedrohlicher Tonfall, Anspannen des Körpers

  • Frontaler Aufbau, Blockieren der Laufrichtung

  • Erschrecken, z.B. durch plötzliche Bewegungen in Richtung Hund, Wasser spritzen oder anzischen

  • Training ohne Rückzugsmöglichkeit

  • Isolation bei Fehlern („Time-Out“)

Diese Formen führen zu chronischem Stress, erlernter Hilflosigkeit und massiven Einschränkungen des Wohlbefindens (Beerda et al., 1997; McMillan, 2005; Miklósi, 2007).

Systemische Gewalt

Systemische Gewalt beschreibt Strukturen, die Hunde dauerhaft einschränken, u. a.:

  • Nicht-Erfüllen von Bedürfnissen (Sicherheit, soziale Bindung, Selbstwirksamkeit)

  • Kein Mitspracherecht („der Hund muss funktionieren“)

  • Unterdrücken von Emotionen und Verhaltensweisen

  • Unvorhersehbarkeit und fehlende Rücksicht auf das Lerntempo

  • Keine Wahlmöglichkeiten, nur Gehorsam

  • Fehlender Rückzugsort, Isolation

  • Isolationshaltung oder permanente „Raumverwaltung“

Dies sind Strukturen, die dauerhaftes Leiden erzeugen und Hunde in ihrer Entwicklung massiv schädigen (Galtung, 1969; Seligman, 1975; Panksepp, 1998; Ziv, 2017).

Fazit: Gewalt hat im Hundetraining keinen Platz

Gewalt im Hundetraining ist rechtlich und wissenschaftlich eindeutig definiert. Sie beginnt dort, wo Verhalten durch Druck, Angst oder Machtgefälle verändert wird – nicht erst bei Schlägen.

Gewaltfreies Arbeiten heißt nicht, dass Hunde keine Grenzen erfahren. Es bedeutet, dass Grenzen bedürfnisorientiert, transparent und lernpsychologisch sauber vermittelt werden. Wer gewaltfrei trainiert, arbeitet weder „laissez-faire“ noch unklar, sondern evidenzbasiert, ethisch und nachhaltig erfolgreich.

Literaturverzeichnis

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