Nature vs. Nurture im Hundetraining
Genetik oder Erziehung?
Die Diskussion um Verhalten beim Hund wird seit Jahrzehnten von einer zentralen Frage geprägt: Ist Verhalten primär genetisch festgelegt („Nature“) oder stärker durch Umwelt, Erziehung und Erfahrungen geprägt („Nurture“)? Gerade in der Hundeszene wird diese Debatte oft verkürzt geführt – und nicht selten als Rechtfertigung für Gewalt im Training missbraucht. Ein wissenschaftlicher Blick zeigt jedoch ein deutlich differenzierteres Bild.
Der Mythos: „Bei manchen Hunden funktioniert positives Training nicht“
Noch immer behaupten manche Trainer:innen, es gebe Hunde, bei denen belohnungsbasiertes Training nicht wirksam sei – insbesondere bei aggressiven Hunden oder bestimmten Rassen. Diese Behauptung ist fachlich falsch. Studien belegen, dass positive Verstärkung bei allen Hunden wirkt und dabei sogar langfristig bessere Ergebnisse liefert (Tiira et al., 2016; Vieira de Castro et al., 2020).
„Harte Rassen“? Wissenschaftlich widerlegt
Vor allem Malinois, Schäferhunde oder Herdenschutzhunde gelten häufig als „nicht positiv trainierbar“. Doch genau hier zeigt die Forschung das Gegenteil: Belohnungsbasiertes Training ist nicht nur effektiver, sondern auch sicherer – gerade im Umgang mit hocharbeitswilligen oder reizoffenen Rassen (Haverbeke et al., 2008).
Genetik wird überschätzt
Zweifellos beeinflusst Genetik das Verhalten. Doch die Wirkung ist begrenzt. In einer groß angelegten Studie mit 3.264 Hunden zeigte sich, dass Angst und Aggression nur zu 10–30 % genetisch bedingt sind (Tiira et al., 2016). Das bedeutet: Der überwiegende Teil wird durch Umwelt, Erziehung, Stressmanagement und Lernerfahrungen bestimmt.
Verhalten ist plastisch – Gene sind kein Freifahrtschein für Gewalt
Verhalten entsteht im Zusammenspiel von biologischen Grundlagen und Umweltfaktoren. Genetik setzt Rahmenbedingungen, aber Lernen, Erfahrung und soziale Interaktion formen Verhalten maßgeblich (Plomin et al., 2013; Sundman et al., 2019). Wer mit dem Hinweis auf „Gene“ aversive Methoden rechtfertigt, ignoriert die Plastizität des Verhaltens und die belegte Wirksamkeit positiver Verstärkung.
Härte produziert Probleme – keine Lösungen
Wer Härte, Strafe, Druck, „Räume verwalten“ oder andere aversive Methoden einsetzt, erzeugt zusätzliche Probleme. Studien zeigen, dass solche Trainingsansätze Angst und Aggression nicht verringern, sondern verschärfen (Overall, 2013). Gewalt führt damit nicht zur Lösung, sondern zur Verschärfung von Verhaltensproblemen.
Positives Training funktioniert bei allen Hunden
Belohnungsbasiertes Training senkt Stress, stärkt Problemlösefähigkeiten und fördert eine sichere Bindung – völlig unabhängig von Rasse oder „Schwierigkeit“ (Vieira de Castro et al., 2020). Selbst bei Militär- und Diensthunden zeigt sich: Weniger Zwang bedeutet bessere Teamleistung (Haverbeke et al., 2008).
Fazit: Wirksamkeit durch Bedürfnisorientiertheit statt Gewalt
Die Datenlage ist eindeutig: Positives, bedürfnisorientiertes Training wirkt bei allen Hunden – unabhängig von Genetik, Rasse oder „Härte“. Genetische Faktoren erklären nur einen Teil des Verhaltens, während Umwelt, Erziehung und Erfahrung den größten Einfluss haben. Gewalt hingegen schafft Leid, Angst und neue Probleme. Wer verantwortungsvoll mit Hunden arbeitet, setzt deshalb konsequent auf positive Verstärkung.
Literatur:
Haverbeke, A. et al. (2008). Training methods of military dog handlers and their effects on the team’s performances. Applied Animal Behaviour Science, 113(1–3), 110–122.
Overall, K. L. (2013). Manual of Clinical Behavioral Medicine for Dogs and Cats. Elsevier.
Plomin, R. et al. (2013). Behavioral genetics. Worth Publishers.
Schilder, M. B. H., & Mendl, M. (2010). Why we should not treat animals as if they were machines. Animal Welfare, 19, 9–17.
Sundman, A.-S. et al. (2019). Long-term effects of maternal care on behaviour in dogs. Scientific Reports, 9, 1–10.
Tiira, K. et al. (2016). Environmental effects on canine behaviour: A large-scale study of 3,264 dogs. PLoS ONE, 11(3).
Vieira de Castro, A. C. et al. (2020). Does training method matter? Evidence for the negative impact of aversive-based methods on companion dog welfare. PLOS ONE, 15(12).