Sicherung von Hunden vor Paniksituationen – Verantwortung, Management und Training
Warum die richtige Sicherung überlebenswichtig ist
Jedes Jahr entlaufen in Deutschland zahlreiche Hunde. Besonders zu Silvester, bei Gewittern oder plötzlichen Schreckreizen steigt das Risiko. Untersuchungen zeigen, dass rund ein Drittel aller Hunde eine klinisch relevante Geräuschangst entwickelt – am stärksten reagieren sie auf Schüsse und Feuerwerk (Storengen & Lingaas, 2015).
Für Hunde ist Flucht eine evolutionär verankerte Überlebensstrategie. In Paniksituationen übernimmt das limbische System die Kontrolle, während kognitive Verarbeitung kaum mehr möglich ist (Overall, 2013). Ein Hund in Panik handelt daher nicht „ungehorsam“ oder „irrational“, sondern zeigt ein artspezifisches Notfallverhalten.
Typische Auslöser für Panik
Silvester und Gewitter: Knall- und Lichtreize gehören zu den stärksten Angstauslösern bei Hunden.
Unvorhersehbare Alltagssituationen: Begegnungen mit Wild, Verkehr, plötzlich heranstürmende Hunde und diverse andere Reize können ebenfalls Fluchtreaktionen auslösen.
Besondere Risikogruppe: Tierschutzhunde
Viele Hunde aus dem Tierschutz – insbesondere aus dem Ausland – sind besonders gefährdet. Häufig fehlt ihnen die Gewöhnung an die Umweltreize unserer Region, die Bindung an ihre neue Bezugsperson ist noch nicht aufgebaut und vorausgehende Belastungen wie Transporte oder traumatische Erfahrungen erhöhen das Stressniveau. Diese Faktoren machen Tierschutzhunde zu einer Risikogruppe, die überdurchschnittlich oft entläuft – nicht selten direkt nach der Ankunft im neuen Zuhause.
Sicherung durch Equipment
Halsbänder - zur Sicherung nur als Zusatz geeignet
Hunde können sich durch Rückwärtsbewegungen leicht befreien.
Eng eingestellte Halsbänder bergen Strangulations- und Verletzungsrisiken (Feddersen-Petersen, 2004).
„Zug-Halsbänder“ sind nach deutschem Tierschutzgesetz (§3 Nr. 11 TierSchG) verboten.
Geschirre - nur spezifische Modelle sind ausbruchsicher
Nur Panikgeschirre sind zuverlässig ausbruchssicher. Sie verfügen über einen zusätzlichen Bauchgurt hinter dem Brustkorb. Vorsicht vor sogenannten “Sicherheitsgeschirren“ - viele Hersteller nutzen diese Bezeichnung für alles mögliche. Achtet immer darauf, ob der zusätzliche (dritte) Bauchgurt vorhanden ist.
Richtige Passform: Das Geschirr darf nicht nach vorne über den Brustkorb rutschen, gleichzeitig muss ein Abstand von ein bis zwei Fingern bestehen, um Schmerzen und Atemeinschränkungen zu vermeiden.
Fehlerquelle: Tragen über Jacke oder Mantel – durch die glatte Stoffschicht kann das Geschirr abgestreift werden.
Leinen und Karabiner - Schwachstelle oder Sicherheitszusatz
Normale Karabiner können sich beim Wälzen öffnen.
Sicherheitskarabiner mit Schraub- oder Automatikverschluss verhindern dies zuverlässig. Achtung: Hier muss stets darauf geachtet werden, dass kein Sand o.ä. in die Verschlüsse gerät, da diese sonst beim schließen blockieren können.
Hunde, die in Panik Leinen durchbeißen, erfordern ganz besondere Maßnahmen. Hier kommen nur Metalllösungen in Frage: ummantelte Drahtseile sind das „kleinere Übel“ gegenüber Metallketten, die zu schwer und somit gesundheitsschädlich sind.
Doppelsicherung – zusätzliche Absicherung
Doppelsicherung bedeutet, zwei Leinen gleichzeitig zu nutzen, meist an Geschirr und Halsband. Dies schützt, wenn:
ein Hund sich aus Geschirr ODER Halsband befreit,
eine Leine durchgebissen wird,
eine Leine dem Menschen aus der Hand fällt.
Wichtig: Leinen müssen in verschiedenen Händen gehalten werden. Werden beide an derselben Hand fixiert, gehen sie im Fall des Fallens gleichzeitig verloren.
Sicherung am Körper – Nutzen und Risiken
Leinen, die am Körper befestigt werden (z. B. Jogginggurt, Oberkörperschlaufe), können zusätzliche Sicherheit geben. Sie bergen jedoch erhebliche Risiken: Schon mittelgroße Hunde können Halter:innen zu Boden reißen und Verletzungen verursachen.
Empfehlung:
nur mit Schnellverschluss-Systemen,
nicht als alleinige Sicherung bei kräftigen oder panikgefährdeten Hunden,
eher im sportlichen Kontext oder mit trainierten Mensch-Hund-Teams einsetzen.
Management ist nicht gleich Training
Ein Panikgeschirr, eine Doppelsicherung oder Sicherheitskarabiner verhindern das Entlaufen, lösen jedoch nicht die zugrunde liegende Problematik: die Angst.
Management schützt in der Akut-Situation – Training verändert die Ursache und somit das Verhalten in Paniksituationen.
Dauerhafte Belastung durch ungelöste Stressoren kann gesundheitliche Folgen haben: Chronischer Stress führt zu Veränderungen im Hormonhaushalt, beeinträchtigt das Immunsystem und erhöht die Anfälligkeit für Verhaltensprobleme (Beerda et al., 1999).
Deshalb gilt:
Managementmaßnahmen sind unverzichtbar,
parallel muss jedoch an der Stressbewältigung des Hundes gearbeitet werden.
Training und Verhaltenstherapie
Nicht alle Hunde sind sofort trainierbar. Manche sind so stark belastet, dass sie zunächst stabilisiert werden müssen, bevor ein Training möglich ist.
In solchen Fällen ist eine enge Zusammenarbeit mit Tierärzt:innen mit Zusatzqualifikation Verhaltenstherapie angezeigt.
Verhaltenstherapie kann mit medikamentöser Unterstützung kombiniert werden, um den Hund überhaupt erst in einen lernfähigen Zustand zu bringen (Overall, 2013).
Medikation allein bringt keine Fortschritte. Wenn Medikation ohne Training eingesetzt wird, kann dies tierschutzrechtliche Relevanz haben.
Wichtig: Qualifikation und Erfahrung der Trainer:innen prüfen. Empfehlungen von Fachverbänden bieten oft eine gute Orientierung.
Weitere Sicherungsoptionen
GPS-Tracker
Ermöglichen Standortbestimmung und Analyse von Bewegungsmustern.
Nützlich, um Fluchtwege zu erkennen oder Rückkehr in bekannte Gebiete zu dokumentieren.
Voraussetzung: lange Akkulaufzeit (mehrere Tage), da eine Sicherung im Ernstfall andauert.
Mikrochip und Registrierung
Schützen nicht vor Entlaufen, sind jedoch entscheidend für die Rückführung, wenn der Hund von Dritten gesichert wird.
Nur registrierte Chips ermöglichen Zuordnung und Rückgabe.
Daten müssen aktuell sein (Adresse, Telefonnummer).
Registrierung in allen gängigen Datenbanken wie Tasso oder Findefix erhöht die Chancen erheblich.
Kontakte im Ernstfall
Im Falle eines Entlaufens sollten sofort informiert werden:
Polizei – alle zuständigen Abschnitte im Entlaufgebiet und näheren Umfeld.
Tierheime und Sammelstellen – in Berlin z. B. das Tierheim im Hausvaterweg, in Brandenburg u. a. Tierheim Ladeburg.
Haustierregister – alle verfügbaren Datenbanken nutzen.
Netzwerke wie „Entlaufene Hunde Berlin/Brandenburg (EHBB)“ – mit Foto und Details.
Empfehlung: selbstständig alle 12 Stunden Rückfragen stellen, da Polizei und Tierheime in Schichten arbeiten.
Fazit
Die Sicherung von Hunden in Paniksituationen ist eine Frage der Verantwortung. Panik ist kein „Ungehorsam“, sondern eine biologische Notfallreaktion.
Ein umfassendes Sicherheitskonzept besteht aus:
Panikgeschirr und Doppelsicherung,
Sicherheitskarabinern und ggf. bissfesten Leinen,
präventivem Training und Verhaltenstherapie,
technischer Unterstützung wie GPS-Trackern,
aktueller Chip-Registrierung.
Nur die Kombination aus Management und Training schafft die Basis für echte Sicherheit – und langfristig für ein stressfreies Zusammenleben.
Literatur
Beerda, B., Schilder, M. B. H., van Hooff, J. A. R. A. M., & de Vries, H. W. (1999). Manifestations of chronic and acute stress in dogs. Applied Animal Behaviour Science, 64(2), 107–119.
Feddersen-Petersen, D. U. (2004). Hundepsychologie. Kosmos.
Overall, K. (2013). Manual of Clinical Behavioral Medicine for Dogs and Cats. Elsevier.
Storengen, L. M., & Lingaas, F. (2015). Noise sensitivity in 17 dog breeds: Prevalence, breed risk and correlation with fear in other situations. Applied Animal Behaviour Science, 171, 152–160.